„Das Geheimnis der leibhaftigen Gegenwart des Herrn im Sakrament des Altares“

10. Juni 2024 in Spirituelles


„Auch uns stellt der Fronleichnam des Herrn vor eine klare Glaubensentscheidung.“ Gastbeitrag von Pfr. Franz Prosinger


Ruprechtshofen (kath.net/Zeitschrift Auftrag und Wahrheit) Predigthilfe zu Fronleichnam: Das sich uns selbstlos schenkende göttliche Leben (Exodus 24,3-8; Hebräer 9,11-15; Markus 14,12-16.22-26)

Das Geheimnis der leibhaftigen Gegenwart des Herrn im Sakrament des Altares bedarf angesichts der kontroversen ökumenischen Auseinandersetzungen und auch der Verunsicherung innerhalb der katholischen Kirche einer sorgfältigen Erklärung und Auslegung der heiligen Texte, die heute verkündet werden.

1. Exodus 24,3-8

Die entscheidende Aussage beim Bundesschluss am Sinai ist: „Das ist das Blut des Bundes, den der Herr mit euch schließt auf all diese Worte hin.“ (Vers 8) Im Hebräischen und im Griechischen steht für „Bund“ eigentlich das Wort „Verfügung“ (berît; dia-thêkê). Es gibt einseitige Verfügungen, Verheißungen, die an keine Bedingung geknüpft sind, wie der Bund mit Noah (Gen 9,9-17). Der Bund mit Abraham in Gen 17 ist ein Geschenk und eine Verheißung, soll aber treu bewahrt werden und ist mit dem Zeichen der Beschneidung verbunden. Dagegen ist der Bund am Sinai ausdrücklich als eine gegenseitige Verpflichtung geschlossen. In der heutigen Lesung geht dem Bundesschluss die Verkündigung der Rechtsgeheiße des Herrn voraus und der Bund ergeht ausdrücklich „auf all diese Worte hin“. Die Darbringung der Schlachtopfer bekundet die Bereitschaft der Hingabe des eigenen Lebens. Das Blut ist nach Lev 17,11 der Sitz des Lebens, eine Symbolik, welche die heutige Medizin bestätigen kann: Das vom Herzen durch die Lungen pulsierende Blut nimmt dort den belebenden Sauerstoff auf und trägt ihn in alle Glieder des Leibes. Das Leben ist aber eine Gabe Gottes und darf nur Gott allein hingegeben werden. Das durch die Sünde verwirkte Leben soll zur Sühne geopfert werden mit der Bitte um Wiedergutmachung. Deshalb steht in Lev 17,11, dass Gott es nur für den Altar gegeben hat, um für die Seele zu sühnen.

In Ex 24,8 wird – ausnahmsweise – auch das Volk mit dem Opferblut besprengt (man vergleiche aber auch den Ritus der Priesterweihe in Ex 29,20!). So wird hier sinn- fällig, dass das Volk zusammen mit den Opfertieren konsekriert werden soll. Das Ein-Leib-Werden im Opfer am Altar kommt in Ex 24,8 bereits vorbildlich zum Ausdruck.

2. Hebr 9,11-15

Diese Lesung aus dem Hebräerbrief steht genau in der Mitte der konzentrisch auf-gebauten Rede. Während der zuvor dargelegte Versuch, durch das jährlich wiederholte Sühnopfer am großen Versöhnungstag in das innerste Heiligtum einzutreten, das angestrebte Ziel nicht erreichen konnte, da das Blut von Böcken und Stieren das Gewissen des Menschen nicht reinigen kann (9,9), konnte Christus als der wahre Hohepriester durch die Hingabe seines eigenen Lebens die Verbindung zwischen Gott und Mensch wiederherstellen. Er hat sein Blut als makellose Opfergabe „durch einen ewigen Geist“ dargebracht, d.h. in vollkommener Selbstlosigkeit ohne jede Einschränkung. Allein dieses Opfer ist die entsprechende Antwort auf das sich uns selbstlos schenkende göttliche Leben, das wir nur empfangen können, wenn wir es ebenso selbstlos weiterschenken und zurückschenken – das Opfer, das die Stammeltern im Paradies verweigert haben und zu dem wir alle nicht mehr fähig waren.

Christus ist als Priester aus den Menschen genommen (Heb 5,1) und erlangt durch seinen Gehorsam bis in den Tod eine Vollkommenheit (5,9; teleôtheís bzw. teleíôsis steht in Ex 29 für die Priesterweihe), die er auch allen, die Ihm gehorchen, vermittelt (5,10): „Durch die einzige Darbringung hat er für immer die zu Heiligenden vollkommen gemacht.“ (10,14) Wie in Ex 24,8 angedeutet, soll der Mensch existentiell in das Opfer einbezogen werden. Ziel ist, mit von Werken des Todes gereinigtem Gewissen „dem lebendigen Gott zu dienen“ (9,14). Nur so erfüllt sich die Bundesformel, dass in einem „Neuen Bund“ (9,15) Gott nicht nur äußerlich der Gott des Volkes und das Volk das Volk Gottes ist (vgl. Offb 21,3), sondern dass von jedem Einzelnen gilt: „Ich werde ihm Gott sein, und er wird mir Sohn sein.“ (21,7) Wie diese existentielle Einbeziehung in einen Neuen Bund geschieht, zeigt das Evangelium.

3. Mk 14,12-16.22-26

In Mk 14,12-31 ist der „Sitz im Leben“ nicht irgendein Abschiedsmahl Jesu, sondern der Sederabend des Pessachfestes, wie in 14,12 ausdrücklich betont wird (vgl. dazu meine Rezension in Auftrag und Wahrheit 9/2023, S. 171-175). Die Eucharistie steht im Horizont des Exodus im Blut des Lammes und des Bundesschlusses am Sinai.

Das gebrochene ungesäuerte Brot wurde am Sederabend gedeutet als „das Elendsbrot, das eure Väter in Ägypten gegessen haben“ (vgl. Dtn 16,3). Jetzt sagt der Herr angesichts des am Nachmittag im Tempel geschlachteten Lammes auf dem Sedertisch: „Das ist mein Leib.“ (Mk 14,22) Die Hinzufügung in Lk 22,19, „der für euch hingegeben wird“, ergibt sich aus dem Zusammenhang von selbst: es ist der geopferte Leib, das geschlachtete Lamm. Und Christus reicht diesen seinen Leib den Aposteln, damit sie ihn emp- fangen: sie sollen eins werden mit ihm in seinem geopferten Leib (vgl. 1 Kor 10,16).

Noch deutlicher ist der Bezug zum Paschalamm und Sinaibund in den Worten über den Kelch. Ausdrücklich wird „das Blut des Bundes“ aus Ex 24,8 aufgegriffen und die Auffassung bestätigt, dass das am Altar geopferte Blut als hingegebenes Leben versöhnen und eine Verbindung mit Gott stiften soll. Aber in Mk 14,24 heißt es jetzt: „mein Blut“. Wie Heb 9,12 als entscheidenden Unterschied zum Alten Bund hervorhebt, hat Christus sich selbst in seinem eigenen Blut zum Opfer dargebracht, im ewigen Geist, aber auch leibhaftig: „Wir haben nun, Brüder, freien Zutritt zum Eingang in das Heiligtum im Blut Jesu, einen frischen und lebendigen Weg, den er uns durch den Vorhang [des Tempels] hindurch geöffnet hat – das heißt, durch sein [geopfertes] Fleisch.“ (Heb 10,19f ) Der Zusatz im Matthäusevangelium, dass das Blut „zur Vergebung der Sünden“ ausge- gossen wird (26,28), expliziert, was nach Lev 17,11 grundsätzlich gilt: es geht um das Gott geopferte Leben als Sühnopfer, um eine Versöhnung zu ermöglichen.

In Lk 22,20 und 1 Kor 11,25 wird dieses Blut des Bundes als „der Neue Bund in meinem Blut“ wiedergegeben. Das ist keine andere Traditionslinie, sondern dieselbe ipsissima vox Iesu. Die semitische Status-constructus-Verbindung muss im Griechischen mit einem Genetiv aufgelöst werden, entweder als „mein Blut des Bundes“, oder als „Bund in meinem Blut“. Die zusätzliche Kennzeichnung als Neuer Bund ist ebenfalls schon eingeschlossen: die Hingabe des eigenen Lebens ist die Grundlage einer inneren Verbindung, die zuvor nicht gegeben war. Damit wird auf die Prophezeiung eines Neuen Bundes in Jer 31,31-34 verwiesen, wonach sich eben diese Innerlichkeit der Übereinstimmung jedes Einzelnen im Geist Gottes verwirklicht, da der Sünden nicht mehr gedacht wird. Neben Ex 24,8 und Jer 31,31-34 verweist Mk 14,24 mit dem „für viele“ ausgegossenen Blut mit aller Wahrscheinlichkeit auf Jes 53,12, wonach der leidende und wegen unserer Missetaten sich opfernde Gottesknecht „die Sünde vieler hinwegtrug“. Es sind, wie die folgenden Kapitel zeigen, die Sünden der Knechte, die sich vom Anblick des leidenden Gottesknechtes erschüttern lassen und sich bekehren. Der Exeget Ulrich Berges (HThKAT Jes 55 – 66) spricht von einer „inklusiven Exklusivität“ (S. 132): die Erlösung ist allen angeboten, aber nur jeder Einzelne, der das Wort des Herrn wahrt, geht in den Heilsbund ein. Auch hier gilt das Paradigma eines konditionierten Bundes „auf all diese Worte hin“ (Ex 24,8). So fasst Mk 14,24 die großen biblischen Traditionen zusammen, das Gesetz des Sinaibundes (Ex 24), die Prophetie vom leidenden Gottesknecht (Jes 53) und einen Neuen Bund als innere Übereinstimmung in der Weisung und im Geist Gottes (Jer 31).

Zum Schluss sei noch erwähnt, dass auch heute noch an unseren theologischen Fakultäten fast ausschließlich gelehrt wird, dass die Abendmahlsberichte spätere theologische Deutungen in Kategorien des Alten Testaments seien, die der ursprünglichen Reich-Gottes-Verkündigung untergeschoben wären. Dagegen sagt Joseph Ratzinger in seinem Buch „Jesus von Nazareth“ (II, 145) von dem überwältigenden Anspruch der Worte über Brot und Wein: „Nur aus dem Eigenen des Bewusstseins Jesu konnte dies kommen“. Als Jesus von der Gabe seines Fleisches und Blutes sprach, waren viele skandalisiert (Joh 6,60). Dagegen sagte Simon Petrus: „Herr, zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens, und wir glauben definitiv und erkennen, dass du der Heilige Gottes bist.“ (Vers 68f; pepisteúkamen im Perfekt) Auch uns stellt der Fronleichnam des Herrn vor eine klare Glaubensentscheidung.

Autor: Pfarrer Franz Prosinger, Ruprechtshofen (Österreich)

Erschienen in: "Auftrag und Wahrheit. Ökumenische Quartalsschrift für Predigt, Liturgie und Theologie"/AuW, Nr. 11, 3. Jg. (2023/2024), Heft 3, S. 429-431. (Die Zeitschrift erscheint im Schiller Verlag Bonn-Hermannstadt; Link zur aktuellen Nummer)

 


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